Anja Asche

Installationen von ANJA ASCHE, Ausstellungsansicht, Galerie Lite-Haus, Berlin

 

Durch Gärung veredelt

heißt die erste gemeinsame Ausstellung der Ende 2017 gegründeten Gruppe Die Saat, in der fast 40 Werke von Anja Asche (Installation), Karin Harboe (Organische Malerei), Daria Olejniczak (Objekte und Collagen) und Nadja Schüller-Ost (Malerei und Grafik) im Lite-Haus Galerie + Projektraum in Berlin-Neukölln gezeigt werden. Ihre Kunst führt überzeugend vor, wie im langwierigen Akt der Schöpfung die Saat aufgeht, eine Idee keimt, wächst und sich in ein Bild oder in ein dreidimensionales Gebilde verwandelt, das provoziert, zum Denken und Handeln anregt oder einfach nur die kreative Energie und das unerschöpfliche Potenzial des Universums feiert.

Obwohl sich die vier in Berlin lebenden Künstlerinnen verschiedener Techniken, Medien, Materialien und Ausdrucksformen bedienen, um die sie bewegenden individuellen und gesellschaftlichen Probleme zu veranschaulichen, ist ihr Œuvre das Ergebnis eines langen inneren Prozesses, in dem sie die Merkwürdigkeiten, Missstände und Widersprüche der heutigen Welt registrieren, rezipieren und in ihren Arbeiten dekuvrieren. Es ist ein Prozess, der mit Gärung verglichen werden kann: Was lange gärt, wird endlich Kunst.

Zwar haben sich die Künstlerinnen erst im vorigen November in einem Workshop des Erfolgsteams Bildende Künste kennen gelernt, doch es gibt frappierende Gemeinsamkeiten zu entdecken. Auch in diesem Fall kommt wohl zusammen, was zusammen gehört. Dass Anja, Daria, Karin und Nadja Wahlberlinerinnen sind, ist in dieser Stadt nichts Außergewöhnliches. Sie sind direkt oder auf Umwegen nach Berlin gekommen, um hier zu leben, Kunst zu schaffen und sich in der Kunstszene bemerkbar zu machen. Die vielen, auch bundesweiten und internationalen Ausstellungen, an denen die beiden Malerinnen und die beiden Objektkünstlerinnen teilgenommen haben sowie die Preise, mit denen sie ausgezeichnet wurden, zeugen davon, dass ihnen dies gelungen ist. Kein Wunder, denn die Kunst ist für sie ein Bedürfnis, die Welt und ihr persönliches Ambiente zu erforschen: mal auf nüchterne, analytische und konzeptionelle Weise wie Anja Asche und Daria Olejniczak, mal scheinbar chaotisch, intuitiv, spontan und überbordend wie Karin Harboe und Nadja Schüller-Ost. Vielleicht resultiert das daraus, dass Anja und Daria, die eine in der polnischen Stadt Łódź, die andere in Bremen Architektur studiert haben. Auch Karin und Nadja haben mindestens eins gemeinsam. Eine wichtige Rolle für ihre künstlerische Entwicklung spielen Erfahrungen, die sie auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sammelten: die eine als Bühnenmalerin am Schauspielhaus Bochum, die andere als Theaterplastikerin am Theater Zwickau. In der Tat, es gibt erstaunliche Parallelen in den Viten der Gruppe Die Saat.

Obwohl sich in dieser Ausstellung eine neue Künstlerinnengruppe vorstellt, treten ihre Gründerinnen mit eigenständigen, zum Teil extra für diese Schau geschaffenen Arbeiten auf. Anja Asche, 1967 in Göttingen geboren, hat ein Auge für das Kleine, für Dinge oder Phänomene, die so alltäglich oder unbedeutend zu sein scheinen, dass sie übersehen oder nicht wahrgenommen werden. In ihren fragilen, filigranen und auf den ersten Blick ephemer wirkenden Installationen, die sie aus Papier, Pflanzensamen, Gräser, Ästen, Flechten und anderen Fundstücken fertigt, setzt sie sich auf eine subtile, minimalistische und sehr überzeugende Art mit der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit der Existenz und der Fragilität der Identität auseinander. Die Wandinstallation unter dem Titel „d.ich.t“ besteht aus Pflanzensamen, aus denen die Künstlerin dieses Adjektiv formt. Doch darin steckt sowohl das Personalpronomen ich als auch dich. In anderen Arbeiten geht Anja Asche ebenfalls der Frage nach: Was ist Identität? Ist sie stabil, beständig und unveränderlich, oder ein Geflecht aus dem Eigenen, dem Angeeigneten, dem Tradierten und Memorierten? Sind Äste mit Flechten noch Äste? Ab welchem Zeitpunkt ist ein Wesen nicht mehr es selbst? Verschwindet die wahre Natur unter dem Einfluss der Kultur? Gibt es in der „Erinnerung“, die sich in Form eines Kreises aus Tannennadeln offenbart, überhaupt einen Platz für das Individuum, welches in der großen Masse unsichtbar ist?

Im Gegensatz zu Anja Asche bevorzugt Nadja Schüller-Ost, 1970 in Zwickau geboren, eine direkte, häufig drastische und spontane Ausdrucksweise, um ihre Verbitterung und Enttäuschung über die Menschen und deren seit Jahrtausenden verheerendes Tun zu artikulieren. Sie ist eine begnadete Zeichnerin und Geschichtenerzählerin, Illustratorin und Autorin von Grafiknovellen, deren Szenenbücher sie selbst schreibt und bebildert. Doch ihre Arbeiten sind mitnichten spontan, sie sind bis ins kleinste Detail durchdacht und konzipiert. Ein Thema ihrer klein- und großformatigen Bilder ist auch die Pflanzen- und Tierwelt, deren Schönheit, Anmut und Unschuld von den Menschen missbraucht und für ihre Zwecke benutzt werden. Das zeigt die Serie „Affenhaus“, die noch bis zum 1. März in der Raumerweiterungshalle im Prenzlauer Berg besichtigt werden kann. Die Kunst ist für Nadja auch eine Bühne, auf der mythologisches Personal durchaus zeitgenössisch agiert: Ob als Medusa, Prometheus, Ikarus oder Sisyphos sind die Heroinnen und Heroen tragische Gestalten, dazu verurteilt, sinn- und endlose Sisyphusarbeit zu verrichten. Nadja Schüller-Ost zeigt die Menschen schonungslos, aber mit viel Ironie und Humor. Ihre Figuren sind meistens nackt, häufig nur mit Narrenkappen oder Tattoos bekleidet: janusköpfige Geschöpfe, die ihre Triebe hemmungs- und rücksichtlos ausleben, Schandtaten begehen, alles konsumieren und den Hals nicht voll kriegen können. Das Publikum weiß, dass das Böse sein Unwesen treibt, doch es schaut weg, so lange es nur geht. Dann ist es meistens zu spät. Ein makabres Spiel, in dem Peiniger, Gepeinigte und Voyeure zusammen ins Verderben stürzen.

Auch Karin Harboe ist Malerin, aber eine, die zum Teil großflächige, abstrakte Bilder fertigt. Sie blickt auf eine vom häufigen Ortswechsel geprägte Vergangenheit zurück. 1971 in Santiago de Chile geboren, wanderte sie als Vierjährige mit ihren Eltern nach München aus, machte ihr Abitur in Bangkok, wo sie dank einer Kunstlehrerin ihre Leidenschaft für die Malerei entdeckte, wurde dann nach Großbritannien geschickt, um in einem Internat Englisch zu lernen. Anschließend zog sie nach Bochum, wo sie Mimin werden wollte. Am dortigen Schauspielhaus arbeitete sie als Theatermalerin, malte in ihrer Freizeit gegenständliche Frauenakte und war selbst Aktmodell. Anschließend studierte sie an der Folkwang Universität der Künste in Essen Kunstpädagogik, obwohl sie in der Malerei ihre Berufung sah. Seit fünf Jahren lebt sie nun in Berlin. Ihre Bilder sind organisch, sie werden mit Pigmenten, Leinöl und ätherischen Ölen gefertigt und „wachsen“, so Karin, „während der Arbeit.“ Sie sind sinnlich, harmonisch und meistens mit erdigen, getönten oder pastelligen Farben gemalt. Mal sublimiert, mal orgiastisch nehmen sie die weibliche Erotik als Lebens-und Kunstelixier ins Visier wie zum Beispiel im „Beginning of Life“ (Beginn des Lebens), einer Anspielung auf das einst skandalumwitternde Gemälde „L'Origine du monde“ (Der Ursprung der Welt, 1866) von Gustave Courbet. Malen ist für Karin ein elementares Bedürfnis, das sie glücklich macht. Obwohl sie sich zuerst der Gegenständlichkeit verpflichtet fühlte, löste sie sich mit der Zeit bewusst und gezielt von der Form. Die Künstlerin meint, dass ihre farbfeldartige expressive Malerei die Betrachterinnen und Betrachter dazu bewegt, mit den vom Spieltrieb durchdrungenen Bildern in Dialog zu treten. Wenn sie sich darauf einlassen, können sie ein buntes und munteres Spiel erleben, in dem sie ihre Seele entdecken. „Es steckt Seelenblut in den Bildern, das sich stets erneuern und erfrischen will“, sagt Karin, für die Kunst eine Symbiose aus Musik, Bewegung und Energie bedeutet: ein Vorgang mit kathartischer Wirkung. Die Künstlerin malt meistens im Sitzen oder im Liegen, sie betreibt eine Art Action Painting unter Einsatz ihres ganzen Körpers.

Künstlerinnen, die Juwelen aus Papier produzieren, sind eine Rarität. Das betrifft die 1980 in Łódź geborene Daria Olejniczak, die sich vor allem in ihren Unikaten aus der Serie „Bodies“ mit dem zum Objekt degradierten weiblichen Körper beschäftigt, der in den Medien und in der Werbung in erster Linie als Projektionsfläche für männliche Begierde benutzt und missbraucht wird. Es scheint, dass der kreative Umgang mit Schmuck und Licht Nadjas Bestimmung ist. Nach dem Architekturstudium in ihrer Heimatstadt bekam sie ein DAAD-Stipendium, studierte Lichtdesign an der Hochschule Wismar und später Schmuckdesign an der Alchimia Jewellery School in Florenz. Dass Papier der Stoff ihrer Schmuckstücke sein wird, entdeckte sie während eines Workshops, in dem sie eine Woche lang Hochglanzmagazine für Frauen auswertete. Der Anblick der dort abgebildeten makellosen, ewig jungen sexy Bodies bereitete ihr Unbehagen, denn das propagierte Frauenbild hatte und hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Seit zwei Jahren fertigt Daria Bijouterie aus Papier. Sie reißt die Seiten der Hochglanzmagazine wie Vogue oder Elle aus, schneidet ganze Frauenkörper, dann einzelne Teile wie Nasen, Ohren, Brüste, Bäuche aus, defragmentiert das mediale Bild der Weiblichkeit und schafft daraus Papierobjekte zum Tragen: Broschen und Halsschmuck. Dazu benutzt sie Silikon- oder Gipsabrücke von echten weiblichen Achselhöhlen oder Schultern, die sie mit Wort- oder hautfarbenen Papierfetzen beklebt und mit Silber, Edelstahl und Baumwollband versieht. Sie experimentiert mit Papier, und daraus Körper zu schaffen. Defragmentierte „Bodies“, die nach dem Ausschneiden übrig bleiben, verwandelt sie in Collagen, deren Titel und Inhalte auf die Kluft zwischen dem vermittelten Frauenbild und der Wirklichkeit hinweisen: „Schlank an einem Tag“, „Kurvenstar“, „Jung bleiben“ oder „Perfekte Farbe“. Inwiefern die von Medien und Werbung servierte Fleischbeschau das Selbstwertgefühl der „normalen“ Frauen mindert, die selten dem Ideal entsprechen, aber häufig mit allen Mitteln danach streben, das ist die Frage.

Die Ausstellung der Arbeiten von Anja Asche, Nadja Schüller-Ost, Karin Harboe und Daria Olejniczak im Lite-Haus Galerie + Projektraum zeigt vier unterschiedliche künstlerische Persönlichkeiten und vier unterschiedliche künstlerische Positionen – mit einer gemeinsamen Affinität zur Identität.

Weil am heutigen Abend die Künstlerinnen unter uns sind, gibt es genügend Raum und Zeit, um mit ihnen über die hier gezeigten Arbeiten zu sprechen. Nutzen Sie diese Möglichkeit! Und wenn Sie alles gesehen und viel erfahren haben, nehmen Sie das eine oder andere Ausstellungsstück nicht nur als Erinnerung nach Hause mit.

Text © Urszula Usakowska-Wolff

Einführung in die Ausstellung der Künstlerinnengruppe Die Saat am 15. Februar 2018 im Lite-Haus Galerie + Projektraum | Veröffentlicht in kunstdunst – das Kunstmagazin aus Berlin | Text als PDF


 

Weitere Texte

Anja Asche – fragile Kräfte / von Katja Andrea Hock, 2023

Interviews in Aussnahmesituationen – Anja Asche / art-in-berlin / Urszula Usakowska-Wolff, 2020

gedeih – Multiplikation dient der Meditation / Kunstdunst / von Urszula Usakowska-Wolff, 2018

Begegnung mit Anja Asche / von Michaela Helfrich, 2018